Review: „Poison Ivy: Dornenherz“

Dieses Werk ist etwas anderes geworden, als ich es erwartet hatte und bedarf einer feinfühligen Auseinandersetzung…!

Enthaltene Titel:
Dornenherz / Thorns

Autor*in: Kody Keplinger
Künstler*in: Sara Kipin

Verlag: Panini
Seiten: ca. 196
Softcover: 16,99 €
Status: abgeschlossene Einzelgeschichte

Erschienen am 14.09.2021

©Panini Comics Deutschland

Dieser Comic hat mich schon vorab hochgradig interessiert. Junge Kreative rücken Pamela Isley in eine noch völlig unerzählte Origin. Es kam dann doch sehr unvorhergesehen in der Gestaltung und ganz anders in seiner Erzählung daher!

Man muss anerkennen, dass hier eine ganz andere Zielgruppe angesprochen werden soll. Denn die Autorinnen bespielen nicht nur Ängste zahlreicher junger weiblicher Personen, sondern fordern auch ein Selbstverständnis dafür, dass es wohl nur eine „logische“ Konsequenz gegenüber frauenfeindlichen Herrschaftsverhältnissen geben könne. Die Autorinnen achten darauf, nicht jede vermeintlich männliche Person als besonders negativ darzustellen. Sie geben sich aber auch ebensolche Mühe, alle anderen öffentlich anzuprangern und sie zu richten. POISON IVY: DORNENHERZ ist für mich sehr schwierig einzuordnen, aber genau aus diesem Grund bleibt diese Geschichte wiederum interessant!

Es ist der Blick zu einer möglichen neuen Generation von Kunstschaffenden. Die Jugend- und Heranwachsenden-Kultur ist für mich dann doch nicht mehr so nah wie ich es noch vor vier Jahren behauptet hätte. DORNENHERZ ist für mich aber eben auch genau das: Ein Blick in den Rückspiegel was junge Menschen als problematisch zum Diskurs stellen (wollen). Dabei trifft dieser Comic vor allem bei mir nicht immer den richtigen Ton – muss er allerdings auch nicht. Die progressive Art der Erzählung adressiert mich zwar nicht persönlich, aber sie ist auf ihre Weise dennoch unangenehm nahbar.

Auch wenn ich mir lange nicht einig war, was ich nun von diesem Comic halten soll, geht ein großes Dankeschön an Panini Comics, die mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben. Denn damit war ich imstande etwas weiter als nur über den Tellerrand zu schauen.

VORWORT

DORNENHERZ von Kody Keplinger muss meiner Meinung nach völlig anders rangiert werden. Ich bin nicht die Zielgruppe und habe dazu auch noch eine völlig andere Erwartungshaltung gehabt. Ich wünschte, ich wäre mit mir einig!

Die 1991 in Kentucky geborene Kody Keplinger hat sich schon sehr früh mit den Heranwachsenden-Thematiken befasst (bspw. THE DUFF 2010). Teilweise erzählt sie auch von Schwierigkeiten, „nur“ als „Mädchen“ und nicht als Person wahrgenommen zu werden. Diesen Umstand prangert sie stellvertretend an, dies ist ihr Credo und dies scheint auch ihre künstlerische Mission zu sein. Keplinger möchte uns eine Vielzahl an Gegebenheiten erzählen, die so unangenehm wie wahr sind. Der Fokus ist jedoch immer gesetzt: „Sie schreien. Ich kann sie schreien hören.“ keucht Pamela und scheint damit auch eine gedeutete Kernproblematik anzusprechen, der sich die Autorin in ihren Werken immer wieder verschreibt: Mädchen und Frauen leiden innerhalb dieser und anderen Gesellschaften.

Vornehmlich in aktuellen (auch deutschsprachigen) Debatten könnten diese Thematiken nicht aktueller sein. So verschwimmen die Grenzen fließend, wenn es darum geht gesellschaftliche Missstände zu benennen. Frauenquote, Gender-Debatte, LSBTIQ+, Mann-sein, Frau-sein und auch einfach sein-lassen… Wer stört sich daran, wenn man selbst nicht gestört wird? Diese Fragen scheinen nicht nur eine temporäre Gegebenheit zu sein, sondern eine Generation zu beschäftigen, die nach mehr verlangt als „schwarz“ und „weiß“ und vorgeschriebenen Geschlechterrollen!

DORNENHERZ zeigt, dass es nicht nur popkulturell thematisiert werden muss, dass Diversität ein fester Bestandteil des Menschseins ist und sich nur bedingt durch vorherrschende Gesellschaftsformen einschränken lässt. Es ist der Beitrag zweier Künstlerinnen, die ihren Stempel hinterlassen wollen und auch werden. Dieses Werk haben die beiden nicht nur für sich allein geschaffen. Allerdings stolpert Keplinger über genau diesen Anspruch.

Meiner Meinung nach wollten die Künstlerinnen nicht nur eine spannende Geschichte erzählen, sondern eine eindeutige Haltung einnehmen und diese mit uns teilen. Jedoch ist die Gesellschaftskritik so in den Fokus geraten, dass sich eine spannende Geschichte gar nicht mehr richtig entfalten konnte. Entweder erzähle ich mit einer Geschichte meine (durchaus berechtigte) Kritik oder wie hier geschehen, wird die übermächtige Kritik lediglich mit einer Story versehen. Dieses starke Ungleichgewicht trübt den Lesefluss, weil ich auch schon während des ersten Kapitels verstanden habe, was hier offensichtlich schief läuft.

HANDLUNG

Es ist eine komplett neue und andere Origin-Erzählung von der Femme Fatale Poison Ivy, die mit übernatürlichen Kräften jegliche Pflanzen – sprich: nicht menschlich biologische Lebensformen – beeinflussen kann. Pamela Isley ist zu Beginn dieser Erzählung allerdings das stereotypische graue Mäuschen mit dem Hang immer schnell nach Hause gehen zu müssen und verfügt noch über keine besonderen Fähigkeiten, außer erhöhte Intelligenz und Pflanzenkunde. Eine Mitschülerin namens Alice kommt durch konstruierte Umstände dauerhaft in das Zuhause von Ivy. Natürlich entwickelt sich daraus nicht nur eine Freundschaft, sondern auch allerlei Konfliktpotenzial.

©Panini Comics Deutschland

Vor allem Pamelas Vater ist stetig mürrisch, herrschsüchtig und ihre Mutter leider bereits an einer Krankheit verstorben. Neben ihren eigenen Schwächeanfällen ist vor allem die soziale Isolation von entscheidender Tragweite für Pamela. Denn nach und nach kommt auch Alice hinter das „dunkle Geheimnis“ der zerrütteten Familie Isley und findet sich schon bald im Zwiespalt ihrer eigenen Emotionen wieder, was die beiden noch stärker zusammenführt.

Soviel sei angemerkt: Auf den hinteren Seiten gibt es die Aufzählung einiger Hilfsorganisationen und Anlaufstellen für Opfer jeglicher psychischer und körperlicher Gewalt! *

WORT & BILD

Die Illustrationskunst von Sara Kipin ist für mich so ambivalent wie der komplette Comic! Ihre Mischung aus anfänglichen Anime-Zeichnungen und „digitalem Geklicke“ verschwimmen so stark, dass sie stellenweise sogar großartige Momente abfeuern kann (bspw. S. 63)! Die klaren Konturen und prägnanten Farben sind eine große Stärke. Sie verlieren jedoch durch die ungenauen Hintergründe an Gewicht. Kipin wirkt meiner Meinung nach sogar teilweise grob in ihren Darstellungen der Figuren. Es ist für mich dieser ungenaue Mix aus eigenem Stil und Mimik einer anderen Zeichenweise, der mich abschreckt. Sie hat ein Gespür für interessante Details und konzentriert sich dann doch wieder auf simple Figurenzeichnungen – schwierig!

Keplinger schreibt hingegen eine ganz klare Richtung. Und das fühlt sich beim Lesen auch nicht immer gut an. Pamela bekommt von einem übergriffigen Schulkameraden die Aufforderung mit ihm auszugehen, da sie seit der Party nicht mehr abgehangen hätten. Da ein Nein für den jungen Mann allerdings kein Nein ist, wird wenig später eine direkte sexuelle Aufforderung daraus. Mit dem Hinweis, dass man ja bereits intim geworden sei. „Du bist widerlich. Wir haben nicht miteinander geschlafen.“ „Die anderen haben etwas anderes gehört.“ Und es wird nicht das letzte Mal sein, dass der abgewiesene Mitschüler ungehindert die Sexismus-Fahne durch die Schulräumlichkeiten schwingen darf. Dass diese Art der sexualisierten Gewalt im schulischen Kontext so unkommentiert bleibt, liegt mir besonders schwer im Magen. Vor allem wenn daraus auch noch die strukturell gefestigte Diskriminierung von Frauen mal nebenbei angesprochen werden soll.

©Panini Comics Deutschland

Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, dass den interessierten Leser*innen alle Kritik der Gesellschaftsnormen ordentlich um die Ohren saust! Es ist wirklich erschreckend, wie simpel Konflikte dargelegt werden und wie tiefgreifend die eigentliche Dramaturgie geht oder sollte. Viele bedeutende Problematiken werden in DORNENHERZ angesprochen, doch es bleibt bei der offensichtlichen wie literarischen Gewaltdarstellung – wie schlimm die anderen sind! Schwierig! Denn diese Graphic Novel ist spannend! Sie ist auch auf ihre Art schön! Sie ist aber auch zu eindimensional erzählt.

DORNENHERZ ist für mich eher ein Zeitzeugnis, mittels dessen man sich diesem unendlichen Kosmos an Ungerechtigkeiten ein Stück weit nähern kann. Vor allem Jugendlichen und Heranwachsenden soll hier bewusst gemacht werden, dass Übergriffigkeit (auch in der eigenen Familie) nicht argumentierbar ist – sondern im höchsten Maße zu kritisieren. Leider schaffen es die Autorinnen nicht darüber hinaus, an der Hülle und Fülle dieser schwerwiegenden Sachverhalte zu kratzen. Dafür hat sich Keplinger eindeutig zu viel vorgenommen und schafft es leider auch bis zum Ende nicht, uns wenigstens eine Erleichterung in der Geschichte zu präsentieren. Zudem werden meiner Meinung nach innerhalb der Erzählung einige verkürzte Schlüsse gezogen und der strukturellen Diskriminierung nicht genügend Raum gegeben. Beispielsweise musste die ökonomische Kluft zwischen vermögenden und weniger vermögenden Personen auch noch in einem Nebenstrang untergebracht werden und macht dadurch das ohnehin schon komplexe Themenbündel nicht übersichtlicher.

Hier ist ein ganz anderes Publikum gefragt. Und dem möchte ich niemals in Abrede stellen, dass es für sie keine gute mediale Verarbeitung von gesellschaftlicher Ungerechtigkeit sein kann! DORNENHERZ ist intensiv, je nachdem mit welchen Augen man es liest! Meine haben die Botschaft verstanden, finden diese aber einfach nicht gut erzählt.

FAZIT

Es ist großartig, dass es ein Werk wie POISON IVY – DORNENHERZ gibt und den Versuch unternimmt viele Problematiken aufzugreifen. Jedoch bleibt es stetig auf einbalsamierten Vorurteilen und offenkundigen Missverhältnissen liegen. Versteht mich nicht falsch: Alles, was in DORNENHERZ passiert, ist intensiv und emotional. Aber hier ist DORNENHERZ meiner Meinung nach weder aktuell am Diskurs interessiert noch kreativ. Das komplette Werk ist die künstlerische Forderung nach Auflösung der systematischen Diskriminierung von Frauen und Mädchen.

Dieser Comic ist unangenehm – von den Grundthematiken her – aber er ist auch stehen geblieben in so vielen Debatten. Vermeintliche Gleichberechtigung, Gender-Thematik, toxische Maskulinität, Women-Empowerment, LGBTIQ+ und und und… Keplinger verliert den Fokus und reißt alles einmal an und damit auch ab!

©Panini Comics Deutschland

Es sind meiner Meinung nach wirklich wichtige Themen, die aber in DORNENHERZ zu plakativ behandelt werden. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich darüber urteilen dürfte? Denn ich bin weder Zielgruppe noch betroffene Person. Allerdings bin ich auch nicht völlig empathielos und spreche diesem Jugendcomic eine gewisse Relevanz zu.

Für mich fühlt sich dieses Werk wie ein Sammelsurium dessen an, was Keplinger beschäftigt. Wie man sich einer Auswahl dieser Thematiken durchaus konkreter nähern kann, hat eindrucksvoll FRÄULEIN-RÜHR-MICH-NICHT-AN des französischen Kunstduos Kerascoët demonstriert. Darum bleibt DORNENHERZ für mich was er ist: Ein mittelprächtiger Comic mit einer sehr drastischen Erzähldynamik. Für einen Preis von 16,99 Euro bekommt man aber auch fast satte 200 Seiten! Euer Comicladen des Vertrauens dankt, genauso wie Panini, wenn ihr diesen Comic für junge Erwachsene haben wollt.

Aufgrund meiner eigenen Position gibt es leider nur zweieinhalb Bat-Heads, aber ich bin mir sicher, dass diese Erzählung für andere viel mehr wert ist! Und gerade weil es mit Sicherheit andere Personen gibt, die DORNENHERZ mehr abgewinnen können als ich: Bleibt nett und respektvoll miteinander! Im realen Leben wie in den Kommentarspalten!


2 ½ von 5 Bat-Heads

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“You wanna get nuts? Come on! Let’s get nuts!” – Bruce Wayne (1989) / Lego Batman (2017) / Batman (2023)

1 Kommentar

  1. Sören sagt:

    Man kann jetzt über diesen Comic jetzt halten, was man will, aber ich finde, er ist ein Beweis dafür, dass die Batman Autoren und Autorinnen mehr aus Posion Ivy machen wollen als nur eine Superschurkin für Batman. Seit „Poison Ivy: Cycle of Life and Death“ arbeitet man daran, Ivy mehr zu einer Antiheldin machen. Was ich an sich nicht schlecht finden. Da diese Entwicklung immer da war, wurde aber selten genutzt. Und mir gefällt diese neue etwas nettere, menschlichere Ivy sehr.

    2

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