Der Kopf des Dämons und die Seele der Fledermaus

Mit großer Bestürzung habe ich gestern vom Tod eines meiner Lieblingscomicautoren erfahren. Denny O’Neil ist im stolzen Alter von 81 Jahren eines natürlichen Todes gestorben. Für mich persönlich geht damit ein weiteres Stück Kindheit dahin. Es waren seine Geschichten, die mich meine Liebe zum dunklen Ritter entdecken ließen, und es waren seine Geschichten, die DC Helden erwachsen werden ließen.

Im April 1970 erschütterte eine halbe Comicseite mit 3 Panels die amerikanische Comicleserschaft. Sie stammte aus dem Heft Green Lantern/Green Arrow Nr. 76. Wir sehen die beiden Helden, als sich ein Mensch mit afroamerikanischen Wurzeln nähert. Im zweiten Panel, einem Close-up, sehen wir, dass dieser Mensch alt und vom Leben gezeichnet ist. Seine Kleidung ist viel zu groß, es scheint mehr als offensichtlich, dass er arm, vielleicht sogar obdachlos ist. Und dann stellt er die eine Frage, die bis in unsere Gegenwart so unendlich wichtig ist: Warum hat Green Lantern schon allen möglichen Lebewesen mit allen möglichen Hautfarben geholfen, aber noch nie einem schwarzen Mitbürger? Green Lantern kann diese Frage nicht beantworten und blickt beschämt zu Boden. 3 Panels in einem Heft eines Verlages, der in den 60er und 70er-Jahren als besonders konservativ galt. Und das Ganze auch noch mit einem Siegel des Comic-Codes.

Zu diesem Zeitpunkt durchlebte die amerikanische Comicindustrie einen großen Umschwung. Die Leser der traditionellen Comichefte verloren das Interesse an den immer gleich verlaufenden Abenteuern ihrer Helden. Viel schlimmer noch, diese Helden verkamen Ende der 60er-Jahre zu regelrechten Witzfiguren. Die strengen Vorschriften des Comic-Codes sorgten zudem dafür, dass sich kaum Autoren an für die Gesellschaft relevante Themen wagte. Die studentische Leserschaft wechselte daher zu den immer populärer werdenden Untergrundcomics. Es brauchte also junge Autoren und Zeichner, die bereit waren, ein Wagnis einzugehen.

Denny O’Neil, geboren im Jahr 1939 als Sohn einer katholischen Familie in St. Louis, studierte an der St. Louis Universität und erwarb dort Abschlüsse in kreativem Schreiben, Philosophie und englischer Literatur. Wie so viele junge Amerikaner verbrachte er einige Jahre im US-Militär und diente dort bei der Marine. Unter anderem war er an der Belagerung Kubas 1962 beteiligt. Nach seiner Militärzeit arbeitete er als Kolumnist bei einer Zeitung. Einige dieser Kolumnen erregten die Aufmerksamkeit von Roy Thomas, der ihn schließlich dazu überredet, einen Einstellungstest bei Marvel zu absolvieren. Die Ergebnisse müssen so beeindruckend für Stan Lee gewesen sein, dass er Roy Thomas gestattete, O’Neil als Texter für die Serie „Dr. Strange“ zu engagieren. Über einen kurzen Zwischenstopp bei Charlton Comics landete er schließlich als Freelancer bei DC Comics.

Dort begann Denny O’Neil dann, Wagnisse einzugehen. Schon immer war er sozial engagiert, Zeit seines Lebens wurde er von der Familie, Freunden und Bekannten als guter Mensch bezeichnet. Er begann mit der Serie „The Brave and the Bold“ und machte aus dem Playboy Oliver Queen einen links orientierten Helden, der sich sozial engagierte. Mit dieser Serie begann auch die heute als legendär geltende Zusammenarbeit mit dem Zeichner Neal Adams. Bemerkenswert dabei ist folgendes: O’Neil und Adams waren keine „guten“ Freunde oder arbeiteten gemeinsam an den Projekten. Sie waren beide Freelancer. O’Neil schickte seine Geschichten an Julius Schwartz, der leitete sie weiter an Adams. Adams zeichnete und schickte seine Sachen zurück an Schwartz. Vielleicht war es diese Art von Distanz, die die beiden dazu veranlasste, mit größtem Respekt für die Arbeit des Anderen einzustehen.

Als Nächstes begann O’Neil damit, tagesaktuelle Themen in seine Geschichten einzuarbeiten. Tatsächlich war in den Regeln des Comic-Codes vorgesehen, dass Tagespolitik, soziale Themen, Sexualität und auch Drogenmissbrauch in den Heften nichts zu suchen hätten. Seine Kunst bestand darin, diese Themen so aufzubereiten, dass der Code nichts dagegen tun konnte. Jene berühmte Seite ist dafür ein Meisterstück. Sie macht auf soziale Ungerechtigkeit aufmerksam, ohne dass der Code etwas dagegen tun konnte. Er macht Rassismus zum Thema, ohne es offen auszusprechen. Trotzdem vermitteln diese 3 Panels die soziale Situation vieler Afroamerikaner zu dieser Zeit.

Gerade Batman hatte in den 60er-Jahren wirklich gelitten. Der Erfolg der TV-Serie mit Adam West führte dazu, dass auch die Comics immer alberner wurden. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Denny O’Neil und Neal Adams dem Dunklen Ritter zur wahren Größe verhalfen. Als Erstes schrieb O’Neil Robin aus der Serie heraus. Die Abenteuer wurden wieder düsterer und auch brutaler. Bei O’Neil wurde Bruce Wayne/Batman zu einem manischen Kämpfer für Gerechtigkeit. Ein Mann, der jede Nacht auf die Straße ging und alle Kriminellen jagte. Ein Mann, für den Gerechtigkeit in all ihren Facetten an oberster Stelle steht. Dieser Batman konnte sich nur auf seinen Intellekt und seine körperlichen Fähigkeiten verlassen. Dieser Batman schraubte sein Equipment selber zusammen, weil er niemandem, absolut niemandem vertraute. Dieser Batman bekam es mit Bösewichten zu tun, die ihresgleichen suchten. Joker, Pinguin, Two-Face und noch viele weitere Antagonisten waren den Lesern bereits bekannt. Doch nun waren sie keine lustigen Clowns mehr, sondern mordende Psychopathen, die mit absoluter Brutalität agierten.

1971 kreierte Denny O’Neil dann den Kopf des Dämons: Ra`s al Ghul, den vielleicht faszinierendsten Gegenspieler, den Batman je hatte. Die Genialität dahinter war der Umstand, dass O’Neil Ra’s al Ghul nie als simplen Bösewicht darstellte. Vielmehr verkörperte Ra’s al Ghul all das, was aus Batman hätte werden können oder sogar würde, wenn er keinen Funken Hoffnung in seinem Leben mehr findet. Der scheinbar unsterbliche Ra`s wandert bereits seit 700 Jahren auf der Erde und hat bei den Menschen mehr Böses als Gutes gesehen. Diese Lebenserfahrung ist dafür verantwortlich, dass er die Menschheit als Problem betrachtet und diese vernichtet werden muss. In den ersten Geschichten bekämpft er Batman auch nicht, sondern unterzieht ihn eher einer Art Prüfung, weil seine Tochter Talia in Bruce Wayne/Batman verliebt ist. Obwohl Ra’s und der dunkle Detektiv Gegenspieler sind, respektieren sie sich. Es verwundert bis heute nicht, dass sich Christopher Nolan für „Batman Begins“ Ra`s al Ghul als Antagonisten aussuchte.

Es dürfte kein Zufall sein, dass Denny O’Neil in den 90er-Jahren dann noch einmal einen weiteren gespaltenen Charakter in das Batman-Universum einführte. Weil O’Neil noch ein Puzzleteil für den Charakter Batman fehlte, erschuf er dann Jean Paul Valley alias „Azrael“. Tatsächlich wird diese Figur eine Zeit lang im Batman-Kostüm Verbrecher bekämpfen, aber „Azrael“ ist bereits zu beschädigt, als dass er wirklich ein Kämpfer für Gerechtigkeit sein kann. Er hat schon lange die Grenzen überschritten und schreckt nicht davor zurück, seine Gegner zu töten. Genau damit gelingt O’Neil ein beinahe lebensumgreifendes Portrait einer gebrochenen Figur. Er macht diese Aspekte des Charakters Batman für die Leser sichtbar, weil er sie in 3 Personen darstellt. Batman steht mit seinen eigenen moralischen Kompass für Gerechtigkeit. Azrael möchte ebenfalls Gerechtigkeit, aber er besitzt keinen moralischen Kompass mehr. Ra`s  al Ghul stellt seine ihm eigene Moral über alle Menschen. Letztendlich hat Denny O‘ Neil den Kopf des Dämons erschaffen, aber er hat Batman auch eine Seele gegeben. Für mich persönlich ist das sein größter Verdienst. Denn sein Batman ist der menschlichste, der je porträtiert wurde.

In den letzten 2 Tagen habe ich viel über und von Denny O’Neil gelesen. Es scheint ein einhelliges Bild über ihn zu geben. Ein Mensch, der sozial engagiert war. Ein Mensch, der sich um die Belange anderer kümmerte. Ein Mensch der für soziale Gerechtigkeit eintrat. All das kann man über ihn lesen und ich glaube jedes einzelne Wort davon, denn all das ist auch in seinen Geschichten zu finden. Bei ihm standen die kleinen Leute im Mittelpunkt. Seine Superhelden waren immer dann am überzeugendsten, wenn sie am menschlichsten agierten.

Ohne ihn würden die modernen Superheldencomics nicht existieren. Ohne ihn würde vielleicht heute noch eine unreflektierte Selbstzensur bei den Comicverlagen herrschen. Er war ein großer Autor. Ein stiller Titan, dessen Vermächtnis noch lange wirken wird. Er wird fehlen.

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Grumpy Old Man, Mediengestalter Bild- und Ton, Film- und Superheldenfan seitdem ich laufen kann. Begeisterter Hobbypodcaster bei www.batmannews.de.

3 Kommentare

  1. Florian sagt:

    Ein wirklich schöner Nachruf, danke.

  2. RexMundi sagt:

    Finde ich auch. Danke.

  3. Visual Noise sagt:

    Sehr angenehm zu lesen – Danke!

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