„Dann sah sie sich allmählich um und stellte fest, daß alles, was man drüben von dem Zimmer aus hatte sehen können, ganz gewöhnlich und alltäglich war; das übrige aber war so verschieden wie nur möglich.“ *
Enthaltene Titel:
Hinter den Spiegeln (DC Premium 82) / Batman: Through the Looking Glass
Autor*in: Bruce Jones
Künstler*in: Sam Kieth
Verlag: Panini
Seiten: ca. 116
Softcover: 14,95 €
Hardcover: 25,00 €
Status: abgeschlossene Einzelgeschichte
Erschienen am 18.12.2012
©Panini Comics Deutschland
Mit dem einleitenden Zitat entdeckte damals die Hauptprotagonistin in Lewis Carrolls zweitem Welterfolg Alice hinter den Spiegeln eine abstruse Parallelwelt. Wir tauschen allerdings im vorliegenden Band die Alice aus und lassen Batman viel zu weit in den Kaninchenbau. „Oder war was im Soda?”
HANDLUNG
Diese abgeschlossene Geschichte beginnt ziemlich simpel mit einem vermeintlichen Mord. Die Gotham Gazette berichtet über den Tod eines prominenten Politikers, der in seiner Badewanne aufgefunden wurde. Das hört sich eindeutig nach einem Fall für den wohl weltbesten Detektiv an. Wäre da nicht ein sich verspätender Hase in der Bathöhle und Bruce‘ alte Kindheitsfreundin Celia – immer noch als Kind. Als Alfred bemerkt, dass es sich um keine realen Dinge handelt, mit denen Batman spricht, ist dieser auch schon im Abwassersystem der Batcave abgetaucht. Ebenso zur großen Verwunderung von Dick alias Robin: „Was macht er denn dort unten?“ Diese Frage ist nicht ganz so einfach zu beantworten, da die beiden nicht sehen, was wir als interessierte Leser*innen nun bestaunen können.
Während die reale Kriminalität nicht ruhen will, taucht Batman immer tiefer in einen kuriosen Mix aus Erinnerungen und Selbstgesprächen ab. Dabei trifft er auf verschiedenste Inkarnationen aus dem Wunderland, wie einen aggressiven Hasen, das plaudernde Walross, die Herzkönigin und viele mehr. Diese sind den mutmaßlich Verdächtigen des Mordfalls durchaus ähnlich. Und so kämpft sich Batman durch seine eigenen Hirngespinste und versucht den Fall anhand kruder Hinweise zu lösen. Da kommt es auch schon mal vor, dass er sich im „Wald der Hinweise“ wiederfindet und einfach einen aussuchen kann.
WORT & BILD
Das alles klingt nicht nur schräg, es sieht auch genau so aus! Was Sam Kieth als Künstler hier wieder zu Papier bringt ist so verschroben wie genial. Es ist die eigenwillige Wandelbarkeit die man auch in seinem Schaffen in BATMAN VS. LOBO oder auch zu Teilen bei der SANDMAN Reihe beiwohnen darf und die eine enorme Sogwirkung auf mich ausübt. Die Story von Bruce Jones dient im Grunde auch nur als Gerüst für seine unorthodoxen Illustrationen. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass ohne DIESE Zeichnungen niemand mehr an diese Geschichte zurückdenken würde.
Diese beinahe selbstzerstörerische Zeichenkunst beinhaltet skurrile Deformationen jeglicher Art. Beispielsweise werden die Panelrahmen langsam auseinandergedehnt, wortwörtlich flüssig ineinander überführt, extrem verziert gefeiert, um sie zwischendurch von den Figuren sprengen oder auch gleich ganz entfernen zu lassen. Doch damit nicht genug!
Die Figuren selbst erfahren immer wieder einen visuellen Knick. So bekommt der Hase zwischenzeitlich ein menschlich anmutendes Äußeres, das auf der nächsten Seite schon wieder nicht mehr existiert. Batmans Körperbau variiert zwischen gezogen, verkrümmt und massiv. Einer Figur widmet der Künstler einen 30er Jahre Pin-Up Look und in einigen absonderlichen Situationen lässt es sich Kieth auch nicht nehmen, köstlich erheiternde Fratzen zu zeichnen.
Kurzum: Hier hat sich jemand richtig austoben dürfen und alles an kreativem Schaffensgeist zu Tage gefördert! Sicher, es wirkt dadurch etwas unruhig, aber es kommt auch ein ganz spezielles Unwohlsein auf, wenn keine Sehgewohnheiten mehr gelten und an sich alles ein Fiebertraum zu sein scheint. „Ein Albtraum? Ich finde ja eher, es ist ein ziemlich angenehmer Traum!“ Wer Kieth als Autor und Künstler bereits in ARKHAM ASYLUM – MADNESS bestaunt hat, kommt hier vollends auf seine optischen Kosten. Und wer mit dem Stil nicht klargekommen ist, wird es wohl erst recht nicht mit dieser Geschichte.
Natürlich strotzen auch die Dialoge vor Referenzen an Carrolls literarische Vorlage. Damit bleibt es dieser aber auch ein Stück weit treu. Selbstironisch, fragwürdig und total verquer werden handlungsrelevante Elemente auch mal mit Typografie versehen. Schriftzüge wie „Hier geht’s lang!“, „Weg nach ?????????“ oder das bestimmte Sachen einfach „zu hoch“ oder „zu klein“ sind, unterfüttern die ohnehin starken Schauwerte mit einer extra Prise Wahnsinn. Man kann sich das so vorstellen, als würde man bei sich zu Hause die Lichtschalter mit „Hier geht das Licht an.“ beschriften.
FAZIT
Es ist ein wirklich einmaliger Comic mit einer gut gemeinten Rahmenhandlung, der aber durch die abwechslungsreichen Zerrbilder getragen wird, die mit so einigen Konventionen brechen. Wer es damals verpasst hat, sich dieses kuriose Erlebnis anzuschaffen wird aktuell auch auf Probleme stoßen.
Bei Panini sind beide Druckvarianten ausverkauft. Aber vielleicht gibt es ja mal eine Neuauflage, denn diese Geschichte ist ein wirklich kurzweiliger, aber eben auch sehr prägnanter Kontrast zu den üblichen Abenteuern des Fledermausmannes. Und ich persönlich habe selten so eine stimmige Interpretation aus dem Kuriositätenkabinett bekommen. Bedeutet für mich: Drei Bat-Heads für die sensationelle Optik und immerhin einen für die wenig überraschende Story mit den gelungenen Dialogen.
4 von 5 Bat-Heads
* Lewis Carroll, Frankfurt am Main 1963, Insel Verlag, S. 22, 20. Auflage „Alice hinter den Spiegeln“
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