Mit der nun abgeschlossenen Serie „The Penguin“ steigt bei dem einen oder anderen vielleicht die Lust, sich auch mal in Comicform (wieder) näher mit dem Pinguin zu befassen. Dafür bietet „Schmerz und Vorurteil“ eine ausgezeichnete Gelegenheit und zeigt zugleich, dass weit Tief- und Abgründigeres im Inneren dieses vogelhaften Schurken wartet, als man auf den ersten Blick vermuten mag. Ob sich der Comic aber auch insgesamt lohnt, lest ihr im Folgenden.
Titel: Pinguin: Schmerz und Vorurteil
Original: Penguin: Pain and Prejudice #1 – 5
Story: Gregg Hurwitz
Zeichnungen: Szymon Kudranski
Farben: John Kalisz
Verlag: Panini
Seiten: 120
Softcover: 15,00 €
Hardcover: 27,00 €
VÖ: 01.03.2022
Lauren LeFranc, die Showrunnerin von „The Penguin” hat sich nach eigener Aussage auch an einigen Comics bedient, um ihre Version des watschelnden Batman-Schurken auszugestalten. Dabei nennt sie explizit auch das vorliegende Werk und ja, beim Lesen werden sich einige schreckliche Parallelen zu Oz Cobb auftun.
INHALT
In „Pinguin: Schmerz und Vorurteil” liefern uns Gregg Hurwitz und Szymon Kudranski die düstere Origin-Story von Oswald Chesterfield Cobblepot, dem Pinguin. Oswald ist ein Kind, das aufgrund seines unkonventionellen Aussehens – insbesondere seiner schnabelartigen Nase – beständiger Ablehnung und daraus folgenden Repressionen von allen Seiten ausgesetzt ist. Später konstatiert er im Selbstmonolog:
„Menschen hassen alles, was hässlich ist. Es ist ein Spiegel ihrer eigenen Ängste. Eine Erinnerung an das, was uns alle erwartet. Krankheit. Gebrechlichkeit. Tod. Der Witz des Lebens.”
– PINGUIN
Und das bekommt er wiederholt zu spüren, auch innerhalb seiner eigenen Familie. Seine einzige Zuflucht findet er in der Liebe zu seiner Mutter, seiner Faszination für Vögel und seinem stetig anwachsenden Hass. Denn parallel zu den Szenen seiner Kindheit, bekommen wir den heutigen Pinguin präsentiert, einen Schwerverbrecher, gefangen in einem Korsett aus Hass und Ablehnung – skrupellos, grausam und kalt; so wie er selbst die Welt um sich herum empfindet. Doch dann tritt eine Frau in sein Leben und stellt Oswalds Welt auf den Kopf … allerdings die ganze Zeit unter den wachsamen Augen eines gewissen Dunklen Ritters.
WERTUNG
So banal diese Inhaltsangabe klingen mag, so meisterhaft setzen Gregg Hurwitz und Szymon Kudranski diese Thematik in Szene; zumindest zu Beginn. Jede Seite lässt da den Leser nachempfinden, was Oswald selbst fühlt oder was er andere fühlen lässt. Wecken zunächst die Angst und der stetig schwelende Zorn eines kleinen Jungen möglicherweise noch Empathie, so ist es später die perfide ausgeübte Macht des erwachsenen Oswalds, die sich aus den Paneln und Textkästen heraus tief unter die Haut des Lesers gräbt. Man spürt förmlich, wie beim Lesen die Temperatur um mehrere Grade absinkt, wenn der Pinguin in erschreckender Geruhsamkeit seinen Opfern erklärt, dass ihren Liebsten gleich die schrecklichsten Dinge zustoßen werden; übrigens niemals durch Oswald selbst, der macht sich doch nicht die Flossen schmutzig. Noch dazu bekommen wir einige der früheren Szenen später aus einer anderen Perspektive gezeigt, was einen ganz schön an der Welt, den Menschen sowie der eigenen Urteilskraft zweifeln lässt.
Angst ist das zentrale Thema dieses Comics – eine Angst, die überall präsent ist, auch wenn das Wort kaum fällt. Ob als diffuses Gefühl bei den Kindern, die Oswald quälen oder als konkreter Schrecken bei den Erwachsenen, die ihn heute als Clubbesitzer und Verbrecherboss erleben. Der Pinguin hat die eigene Angst sowie den Hass und Spott der anderen in eine Waffe verwandelt, mittels Geld und Macht. Und Letztere übt er gnadenlos aus. Er bestimmt nun, wie die Welt um ihn herum funktioniert und er regiert sie mittels Angst. Hurwitz lädt uns als Leser ein, diese Furcht nicht nur zu beobachten, sondern sie auch zu fühlen, wenn der Pinguin sein düsteres Operationsbesteck der Pein vor uns ausbreitet. Doch neben Angst gibt es noch andere starke Themen. Einsamkeit und Scham sind allgegenwärtig. Ebenso die Liebe, die sich Oswald ersehnt, aber nie so richtig zu empfangen oder auszudrücken weiß.
„Stärke hat nichts mit Größe, Muskeln oder Aussehen zu tun. Es geht um Strategie, langfristige Planung, um Genugtuung zu erlangen.”
– PINGUIN
Was diesen Comic besonders macht, ist sein Fokus auf Oswalds Perspektive; auf sich, auf seine Kindheit, seine Werte, damals wie heute und somit auf seine Sicht der Welt. Damit entzieht sich „Schmerz und Vorurteil” einem billigen Erklärversuch nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip. Ja, was dieses Kind erleiden musste, ist wirklich aufwühlend, ebenso wie später seine kalte Rache als ausgewachsener Pinguin. Die Kunst hierbei liegt darin, die Geschichte nicht zu einer bloßen Galerie dargebotener Grausamkeiten werden zu lassen. Jeder kann diese Geschichte anders empfinden und auch anders zu dieser Figur stehen. Wir bekommen hier die Möglichkeit, Oswald zu sehen, wie er sich selbst sieht – mit all seinen Verletzungen, seiner Logik und seinen Rechtfertigungen. Es ist eine Einladung, mit ihm zu fühlen oder eben, ihn abstoßend zu finden – die Entscheidung liegt bei jedem selbst.
Unterstützt wird das Ganze von Szymon Kudranskis Artwork. Das würde man nicht in jedem Batman-Comic oder der regulären Reihe lange hinnehmen, hier aber passt es ausgezeichnet zur Geschichte: düster, einengend, meistens in der gleichen Tonalität; mit Figuren, die oft etwas entrückt oder unmenschlich wirken. Lediglich am Ende ist das Szenario ein wenig indifferent gestaltet, sodass man nochmal genau hinsehen muss, was da denn nun wirklich geschieht. Und ja, das Ende ist insgesamt der größte Wermutstropfen in dieser Geschichte. Schon ab dem Zeitpunkt, an dem Batman als Akteur hinzukommt, wird wieder klarer, dass man sich in einer Superheldencomic-Welt befindet. Das Szenario wird größer, fantastischer und löst sich von der Charakterstudie Oswalds. Und wo wir gerade dabei sind: Batman ist hier cool gezeichnet, wirkt brutal und bedrohlich, bewahrt sich aber seine Differenziertheit und Menschlichkeit.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist hier Oswalds Affinität für die Funktion als auch für die Konstruktion von Maschinen, die im Comic eine bemerkenswerte und wichtige Rolle einnimmt, aber eher so nebenbei. Erinnert dies zunächst an einige Szenen aus „Batman Returns”, so scheint hier doch mehr dahinter zu stecken. Immerhin ist dieser Pinguin ein Charakter, der die Funktionsweisen des menschlichen Seins und vor allem des Leids bis ins Detail zu kennen scheint und zudem in der Lage ist, die erstaunlichsten Apparate zu entwerfen und funktionstüchtig zu machen. Doch zeitgleich nützt ihm all dies recht wenig, da er sich selbst fortwährend immer mehr entmenschlicht und sich so (entgegen seinen ursprünglichen Bedürfnissen) zu einem funktionalen, aber kalten Automat der Unbarmherzigkeit entwickelt. E. T. A. Hoffmann lässt grüßen.
„Wärme geht nie verloren. Wenn sie gegeben wird, wird sie auch empfangen.”
– PINGUIN
All die Highlights vermögen es jedoch nicht, den Schlussteil des Bandes zu retten. Dieser wirkt im Vergleich zur vorherigen Dichte und Tiefe viel zu gewollt und letztlich auch nicht so nachvollziehbar, wie alles zuvor. Und dieser Qualitätsabfall beginnt bereits ca. ab der Mitte des Bandes. Es lösen sich einige Aspekte zu schnell und wenig konsequent auf, was dem Werk schließlich den Nachhall nimmt.
Für Fans der HBO-Serie lohnt ein Blick in den Band aber allemal. Auch, wenn sich inhaltlich gefühlt eher zufällig einige Dinge ähneln, scheint aber das Wesen dieses Pinguins einen spürbaren Einfluss auf den Oz Cobb der Serie gehabt zu haben. Wir wissen, dass Showrunnerin Lauren LeFranc einzelne Bilder aus „Schmerz und Vorurteil” übernommen und abgewandelt in „The Penguin” untergebracht hat. Hie und da erscheint es zumindest so, dass man sich auch hinsichtlich Selbstbezogenheit und Grausamkeit des Charakters durchaus vom Comic hat inspirieren lassen. Gut so, denn das macht immerhin den beeindruckendsten Teil des Comics aus.
FAZIT
MARIAN MEINT
Was für ein schmerzhaftes Buch. „Pinguin: Schmerz und Vorurteil” ist stellenweise schwer zu ertragen. Aber genau das macht hier auch den Reiz aus und lässt die Geschichte noch einige Zeit im Gedächtnis bleiben, woran nicht zuletzt auch das atmosphärische Artwork einen großen Anteil hat. Hurwitz liefert hier über den Großteil der Zeit eine unglaublich dicht erzählte Geschichte, die komplexe Themen wie Angst, Einsamkeit und Hass anspricht, ohne sich dabei selbst zu überfordern – oder die Leser. Leider trübt das überhastete und für diese Story viel zu generische Ende den Gesamteindruck deutlich. Dass die Geschichte im Grunde ab der Hälfte immer abstruser und repetetiver wird, obwohl sie da erst einen sehr interessanten neuen Aspekt hinzufügt, diesen dann aber nicht zu einem glaubhaften Ende führen kann, ist schon ein spürbarer Dämpfer. Dennoch hat mich zuletzt kaum ein Superheldencomic so (unangenehm) berührt, wie dieser Band. Es bleibt eine für den Pinguin unerwartet explizite Geschichte, die verstört, fasziniert und für einige Zeit auch nicht mehr loslässt.
ZWEITSTIMME AUS DER BATHÖHLE
VISUAL NOISE MEINT
Dieser Comic ist über weite Strecken schlicht atemraubend. Hier werden Traumata gezeigt, die dem Pinguin beinahe zur Leidensfigur formen, dem ich seine Grausamkeiten als Selbstschutz abnehme. Ich wurde mitgerissen, abgeschreckt und habe mit Oswald Cobblepot gelitten. Die dramatischen Erklärungen steigern ihre Intensität fast auf jeder zweiten Seite. Und dann kommt es zum Bruch all dieser positiven Aspekte.
Die Geschichte nimmt eine fantastischere Richtung an, die DIESEM Pinguin dann eben nicht mehr gerecht wird. Es kommt zu Entscheidungen innerhalb der Story, die nur noch schwer nachzuempfinden sind. Und hier vergaloppiert sich auch das Pacing. Die nötige Schwere, die uns Oswald noch so nah gebracht hat, wird einem Twist mit Action untergestellt. Gerade die finalen Sequenzen hätte ich persönlich überhaupt nicht gebraucht. Dafür ist im vorherigen Teil des Comics schon so viel geschehen, dessen Tragweite noch intensiver ausgespielt hätte werden sollen.
Die letzten zwei Kapitel trüben mir das vorangestellte Leseerlebnis deutlich. Es hätte tatsächlich ein kleines Meisterwerk werden können. Dafür verliert die Geschichte allerdings ihren anfänglichen Stil, was ich sehr bedauere. Apropos Stil – die Illustrationen sind bis auf eine Kleinigkeit wirklich erstklassig. Szymon Kudranski hat für mich zwar den Eindruck erweckt, als sehen sich die Gesichter zahlreicher Nebenfiguren zu ähnlich, jedoch rettet John Kalisz diese Kleinigkeit mit seiner Farbgebung. Im spielenden Wechsel erhalten wir unterkühlte Mafia-Passagen, gelbstichige Erinnerungserzählungen und auch emotionale Höhepunkte werden markant farblich aufgefangen – wirklich sehenswert.
Die Entwicklungen der letzten beiden Kapitel sind für mich allerdings so schwerwiegend, dass ich leider einen ganzen Bat-Head abziehen muss. Und das obwohl diese Geschichte auf so weiten Strecken unfassbar gut geschrieben wurde. Schade. Wirklich schade. Nichtsdestotrotz eine absolute Kaufempfehlung meinerseits.
4 von 5 Bat-Heads
Bei Panini liegt der Band aktuell nur noch im Softcover vor.
Pinguin: Schmerz und Vorurteil (Softcover)
Übrigens: Panini gibt in einer Preview noch ein paar weitere Einblicke.
LESEPROBE (bereitgestellt von ©Panini Comics)
DISCLAIMER
Für die vorliegende Review wurde uns ein Rezensionsexemplar von Panini Comics Deutschland zur Verfügung gestellt. Dafür vielen Dank!
Mit dem Ende hatte ich auch ein kleinwenig Probleme, hab es aber irgendwo als nette Hommage an „Die Vögel“ und entfernt an „Batmans Rückkehr“ verbucht.
Schmerz und Vorurteil hat mir wenig Freude bereitet aber Jason Aaron’s oneshot Joker’s Asylum Penguin #1 erhältlich als Batman Arkham Penguin Taschenbuch (ich sammelte die komplette Reihe) und alles vom Penguin in No Mans Land würde ich jederzeit wieder gerne lesen. Das review hat mir dennoch Freude bereitet.